Es muß sich schon um eine außergewöhnliche Persönlichkeit handeln, wenn sie als würdig erachtet wird, die Vorderseite des neuen 500-Mark-Geldscheines zu zieren. Maria Sibylla Merian hat dies geschafft; ein Grund mehr, sie etwas näher kennenzulernen.
Am 2. April 1647 - der Dreißigjährige Krieg geht langsam zu Ende - wird Maria Sibylla in Frankfurt a. Main geboren, als Tochter des wohl noch berühmteren Vaters, des Kupferstechers und Verlegers Matthäus Merian d.Ä., und dessen zweiter Frau Johanna Sybilla Heim. Als Merians Tochter eineinhalb Jahre alt ist, beschließen die Kriegsparteien den ,,Westfälischen Frieden"; zuvor schon schrieb Matthäus Merian klagend: ,,Gott möge doch seine Zuchtrute bald ins Feuer werfen, damit es ein Ende gäbe."
Mit drei Jahren bereits muß Sibylla mit ihrer Mutter und ihren sechs Halbgeschwistern den Tod des erst 58 Jahre alten Vaters beklagen, er stirbt während einer Kur in Bad Schwalbach.
Im Sommer 1651 heiratet Maria Sibyllas Mutter den aus Frankenthal stammenden Jacob Morell, einen nicht unbekannten Maler von Stilleben und Blumenbildern.
Für Maria Sibylla ist die zweite Heirat der Mutter ein Glücksfall. Sie wird in einer häuslichen Umgebung groß, die ihre künstlerische Neigung fördert und erst richtig hervorbringt. Ihr Interesse geht über das reine Abbilden der Natur hinaus, sie will die Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten begreifen, sie möchte verstehen, warum sich Seidenraupen in Schmetterlinge verwandeln. Die Metamorphose der Raupe zum Falter ist ein Erlebnis (1660), das sie später den Beginn ihrer naturwissenschaftlichen Beobachtungen und somit ihrer wissenschaftlichen Arbeit nennt. Ein dreizehnjähriges Mädchen also ist Maria Sibylla, als sich ihre kindliche Neugier in Forscherdrang verwandelt. Zwischen ihrem 13. und 18. Lebensjahr findet Maria Sibylla dann zu ihrem ureigensten Interessengebiet, dem sie treu bleiben wird:sie will Tiere und Pflanzen abbilden und erforschen. Im Jahr 1665 heiratet Maria Sibylla einen aus Nürnberg stammenden Architektur-Maler namens Johann Andreas Graff. Anfang 1668 bringt Maria Sibylla ihre erste Tochter Johanna Helena zur Welt; die Familie siedelt zwei Jahre später von Frankfurt nach Nürnberg über.
Ihren eigenen Haushalt führend, kann sie nun schalten und walten wie sie will und entfaltet ungeheure Aktivitäten. Sie gründet eine Stick- und Malschule für ,,höhere" Töchter und sorgt somit entscheidend für den Lebensunterhalt der jungen Familie. Ihre eigentlichen Aufgaben vernachlässigt sie aber nicht. Wochen-, manchmal monatelang ist sie hinter einer bestimmten Raupe her, wartet geduldig auf die Verpuppung und zählt die Tage jeder Entwicklungsstufe bis zur ,,Geburt des Sommervogels". Schachteln und Zuchtkäfige mit allerlei Getier finden sich auf den Regalen in ihrer Wohnung.
Angeregt durch die Arbeit in ihrer Mal- und Stickschule, gibt Maria Sibylla in den Jahren 1675 bis 1679 drei Teile ihres ,,Blumenbuches" heraus, in dem sich die Modeblumen des 17. Jahrhunderts (Narzisse, Hyazinthe, Tulpe, Rose u. a.) unter dem lat. Titel ,,Florium Fascilus Primus" ein Stelldichein geben. Sie erfährt dank ihrer vortrefflichen Arbeit wirkliche Bewunderung und Anerkennung. In diesen arbeitsreichen ersten zehn Nürnberger Jahren bringt Maria Sibylla die zweite Tochter mit Namen Dorothea Maria zur Welt.
Mittlerweile werden die Mitbürger mißgönnerhaft und mißtrauisch, weil Maria Sibylla nicht ruht, weiterhin Raupen, Würmer und Maden - Teufelszeug also - zu suchen und zu bestimmen und darüber hinaus noch die Gelehrtensprache zu erlernen. ,,Sie soll sich besser die Weibertugenden hinter die Ohren schreiben", äußert man. In der damaligen Zeit nämlich gehen Frauen wie sie, die dem Aberglauben die eigenen naturwissenschaftlichen Beobachtungen entgegensetzen, ein nicht zu unterschätzendes Risiko ein, als Hexe oder Zauberin auf dem Scheiterhaufen zu enden.
Maria Sibylla antwortet auf den irrigen VoIksglauben, Insekten seien Vorboten einer Gottesstrafe und teuflisches Getier, mit der Herausgabe ihres Buches ,,Der Raupen wunderbare Verwandlung und sonderbare Blumennahrung" (1679), für das sie fast 20 Jahre lang beobachtet und gemalt hat. Es ist das geniale Werk einer forschenden Malerin; Kunst und Natur bilden darin keinen Gegensatz. Es ist ein bahnbrechendes wissenschaftliches Buch, das Aufsehen erregt. Maria Sibylla faßt ihre Forschungsergebnisse in der deutschen Sprache ab, damals keineswegs üblich, da Latein unumstrittene Sprache der Wissenschaft ist. Dadurch ermöglicht sie dem ,,normalen" Menschen Zugang zur Wissenschaft; zumal sie ihre Beobachtungen sehr anschaulich und treffend vermittelt.
In den folgenden Jahren brechen in ihrer Ehe unüberbrückbare Konflikte aus, so daß sie mit ihren Töchtern nach Frankfurt umzieht, wo ihre Mutter noch lebt. 1683 veröffentlicht sie den ,,anderen Teil" des Raupenbuches, in Format, Aufbau und Anlage gleich dem ersten. Nach zwanzigjähriger Ehe trennten sich Maria Sibylla und Johann Andreas Graff endgültig. Sie nimmt wieder ihren Mädchennamen an und zieht mit ihrer Mutter und ihren Töchtern in das weltoffene Amsterdam, wo bekannte Naturwissenschaftler sie in ihren Kreis aufnehmen. Der Forscher und Erfinder Antonie von Leeuwenhoek unterweist Maria Sibylla Merian und gestattet ihr, sein Mikroskop zu benutzen, das neue faszinierende Einblicke in die Welt der Falter und Raupen gewährt.
In diesen Amsterdamer Jahren läuft im Leben der Maria Sibylla Merian alles - ob zufällig oder geplant - auf die Reise nach Südamerika mit dem Ziel Surinam (damals Niederländisch-Guayana) zu. Vor der Abreise im April 1699 - sie ist mittlerweile 52 Jahre alt - macht sie ihr Testament, wohlwissend um die Gefahren dieser Reise. Die 21jährige Tochter Dorothea Maria begleitet ihre Mutter nach Südamerika. Nach fast dreimonatiger Überfahrt erreichen sie das ,,Land ohne Namen" oder das ,,Göttliche Land", so der indianische Name. Die reichen weißen Plantagenbesitzer belächeln die beiden Frauen wegen ihrer Absichten, aber Maria Sibylla verliert keine Zeit; sie beginnt ihre Forschertätigkeit, die sie in den unerforschten Dschungel und tropischen Regenwald vorstoßen läßt. Dort zeichnen die beiden Unerschrockenen tropische Pflanzen und Tiere ,,getreu nach dem Leben auf Pergament".
Unter der feuchten Gluthitze und den stechenden Moskitos im Regenwald erdulden sie größte Strapazen. Wie besessen werden Pflanzen, Schmetterlinge, Raupen, Blüten und Knospen in schönsten Tropenfarben gezeichnet, gesammelt, konserviert und verstaut. Von den Einheimischen erfragt Maria Sibylla den Namen jeder Pflanze und gewinnt so auch Einblick in das Leben, die Sitten und Bräuche der Indianer.
Im Frühjahr 1701 erkrankt Maria Sibylla Merian an Malaria und ist gezwungen, ihre Arbeit im Regenwald einzustellen und nach Holland zurückzufahren. Alles, was die Merians aus Surinam mitgebracht haben, wird in Amsterdam ausgestellt; in einem Prachtband soll die tropische Fülle auf 60 Kupferplatten festgehalten werden. Ab 1702 stürzt sich Maria Sibylla in die Arbeit für dieses Surinambuch. Die Tafeln, die sie aus ihren Beobachtungen komponiert, sind die Höhepunkte ihres Schaffens. Sie vermitteln Weite und Ferne zugleich mit naturwissenschaftlicher Exaktheit. Im April 1705 hat sie es trotz aller Finanzierungssorgen und Widrigkeiten geschafft - das Surinambuch ist fertig! Sie nennt es ,,Metamorphosis Insectorum Surinamensium", die Verwandlung der Insekten Surinams.
Selbst Zar Peter der Große erwirbt ihre Arbeiten, und der schwedische Naturforscher Karl v. Linné billigt ihr für ihre Arbeit sogar einen Platz unter den ,,Unsterblichen" zu.
Bis zum Jahre 1715 erfreut sich die arbeitsame Maria Sibylla Merian guter Gesundheit, dann erleidet sie jedoch einen Schlaganfall, der sie an den Rollstuhl fesselt; am 13. Januar 1717 stirbt sie. Im Totenregister steht sie in der Reihe der Unvermögenden. Ihre Tochter Dorothea Maria vollendet die noch unerledigten Arbeiten der Mutter in deren Sinne.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wächst das Interesse an Maria Sibylla Merians Werk wieder, nachdem es im 19. Jahrhundert etwas in Vergessenheit geraten war. Maria Sibylla Merians Schaffen ist heute aktueller denn je: Die Tier- und Pflanzenwelt, die sie in ihrem Werk verewigt hat, droht von der Erde zu verschwinden.
Literatur:
J.-W. VON GOETHE